Von Weitem sahen wir die letzte Markierung, und als wir auf derselben Höhe waren, mussten wir abermals umkehren, denn ungeschützt in ein Gewitter zu kommen war mir zu gefährlich. Wir ließen die Rucksäcke an Ort und Stelle, legten zwei Firnanker, an denen wir die Rucksäcke befestigten und nachdem nur das Nötigste in den abnehmbaren Deckeltaschen mit. Früher als am Vortag zog das Gewitter auf, aber wir schafften es rechtzeitig in unser Basecamp, bevor es hagelte und Blitze zuckten. Etwa eine Stunde tobte das Gewitter und der Donner war laut und unmittelbar. Wir waren froh, nicht direkt am Berg ungeschützt überrascht worden zu sein.

Am folgenden Tag war an eine Besteigung nicht zu denken, es regnete und der Berg war in Wolken, daher legten wir einen Ruhetag ein. Am nächsten Morgen sah es besser aus. Wir stiegen zügig hoch, Serpentine um Serpentine, immer den Gletscherspalten ausweichend. Es war extrem anstrengend, nur mit Rucksack aufzusteigen geht ja noch, aber in einer Höhe von 5200m noch zusätzlich ein Snowboard mitschleppen? Da machte ich mir schon so meine Gedanken, zumal die Verhältnisse hier alles andere als Snowboard tauglich waren. Aber ich wollte es so, mir beweisen, dass ich in der Lage war, mein Gepäck – und dazu gehörte für mich nun mal mein Snowboard – auf diesen hohen Berg zu schaffen. Ich sah es auch als Training für kommende Abenteuer.

Das Wetter hielt. Endlich kam das Ende von der langen Flanke in sicht, ein letzter Buckel und dann türmte sich vor uns eine riesige Gletscherspalte auf. In diese führte eine Rampe hinab. Der Platz war wie geschaffen für unser Zelt, von zwei Seiten mit hohen Gräben umgeben und windgeschützt. Eine dreiviertel Stunde brauchten wir für den Aufbau unseres Lagers. Hungrig wie wir waren machten wir uns was zu essen. Mein Höhenmesser zeigte 5300 m. Zum Gipfel fehlten noch 600 m.

Die nächsten Tage wollten wir uns an die Höhe gewöhnen und die sagenhafte Bergwelt in Schnee und Eis genießen. Der Kocher war immer gut mit dem Schmelzen des Schnees ausgelastet, bis wir auf die Idee kamen unsere Töpfe tagsüber unter die tauenden Eiszapfen zu stellen. In der Nacht wurde es uns am Rücken kalt, doch auch hier fand sich eine Lösung, wir nutzen den Rucksack als zusätzliche Isolation gegen die Kälte. In den ersten Tagen machten wir kleinere Spaziergänge und ich erkundete den weiteren Weg. Wir mussten ja irgendwie durch die riesige Gletscherspalte kommen – geradewegs hindurch.

Hinter der Rampe fiel die Wand etwa zehn Meter in die zwanzig bis fünfundzwanzig Meter tiefe Gletscherspalte ab, an deren Boden ein schmaler Durchstieg zu einer gegenüberliegenden schmalen Rampe lag. Unser Seil war lang genug und Linda sicherte mich bei der Durchsteigung der Spalte. Es war der beste Weg und die Eispickel gaben einen sicheren Halt in dem zu überwindenden Steilstück.

Wir hatten Nebel, Schneefall und klaren blauen Himmel. Gegen Mittag des vierten Tages tauchten auf einmal vier ecuadorianische Bergsteiger im Nebel auf und wir waren richtig froh hier oben jemanden anzutreffen. Sie auch und wollten wissen, wie es weiter nach unten geht. Diesen Weg kannten wir inzwischen und konnten wir ihnen weiterhelfen. Kurz danach klarte die Sicht auch und wir machten uns wieder Gedanken über unseren Gipfelsturm.

Das Wetter schien in zu halten und so wollten wir die Gelegenheit nutzen und am kommenden Tag den letzten Abschnitt wagen. In aller früh, mit heißem Tee in der Kanne im Rucksack und Snowboard, machten wir uns daran, die Gletscherspalte zu durchsteigen. Auf der anderen Seite ging es dann steil bergan. Als die Sonne schon sehr hoch stand, kamen wir in den Bereich des Schnee und eisfreien Kraterrandes. Noch ein paar Meter und wir waren am Ziel. Wir machten reichlich Fotos und warteten im eisigen Wind auf eine Wetterbesserung. Es war neblig und wir wollten zu einem der zwei Kamelhöcker aufsteigen, die etwa neunzig Metern über dem Kraterrand lagen.

Wir setzten uns an ein windgeschütztes Plätzchen mit dem Blick auf rauchende Lava Brocken und warteten eine halbe Stunde auf Wetterbesserung, aber es wurde nicht besser, dafür immer kälter. Länger warten machte keinen Sinn und wir machten uns an den markierten Rückweg. Der Weg verlief entlang hoher Gletscherbrüche, umgeben von steilen Eiswänden. Der Untergrund war durch die Sonne schon aufgeweicht, trotzdem kamen wir gut durch die Gletscherspalte zurück zu unserem Zelt.

Eigentlich war alles getan, nur die Snowboard Fotos fehlten noch. Wozu habe ich schließlich ständig mein Board mit mir herumgeschleppt?! Felsen gab es hier keine, also auch keine Cliff Jumps, ich schaute mich ein wenig um und beschloss einen Kicker zu schaufeln. An der Zugspitze daheim war des ja meine Lieblingsbeschäftigung, doch in dieser Höhe war ich nach 15 Minuten völlig fertig. Langsam kam ich ins Grübeln, ich hatte vor über die riesige Gletscherspalte, in der unser Zelt stand, zu springen. Ich müsste etwa 25 Metern springen und nach der Landung schon die nächste Gletscherspalte kommt. Ich müsste also mit einer recht großen Geschwindigkeit über die Spalte fliegen und abrupt nach der Landung abbremsen. Die 25 Meter waren nicht das Problem, nur es gab keinerlei Sicherheitsreserven nach der Landung. Also beschloss ich, es nicht zu tun und ließ den Kicker, wo er war, und kehrte frohen Mutes in ins Camp zurück.

Linda war zwar zuerst etwas sauer, doch als ich ihr die Situation erklärte akzeptierte sie meine Entscheidung. Wir erlebten einen großartigen letzten Abend in unserem Hochlager und feierten mit den letzten Vorräten unseren Gipfel Erfolg. Am nächsten Morgen packten wir alles zusammen und machten uns auf den Rückweg. Linda voran und ich – mit dem Seil verbunden – mit dem Snowboard unter den Füßen hinterher. Der Weg über den Gletscher war länger als wir ihn in Erinnerung hatten und es wurde langsam dunkel, zum Glück konnten wir uns an unseren gesetzten Wegmarkierungen orientieren, die ich im vorbei fahren auch wieder einsammelte.

Als wir in den Bereich kamen, wo der Gletscher nur noch Blankeis hatte, wussten wir, dass es bis Gletscherrand nicht mehr weit sein würde. Trotzdem verorientierten wir uns etwas und irrten zwanzig Minuten herum, bevor wir wieder auf dem richtigen Weg waren. Kaum hatten wir den gesuchten Ausstieg erreich, fing es an zu schneien. Jetzt wollten wir so schnell wie möglich zu unserem Basislager kommen.

Der Weg dorthin war deutlich ausgetreten und im Schein unserer Stirnlampen fanden wir zurück. Im Basecamp angekommen schmiss ich den Gaskocher an, es gab eine extra Portion Tee und Nudeln mit Pilzen. Gut schmeckte es und danach zogen wir Glückseligen unsere Sachen aus. In einem kleinen Taschenspiegel betrachteten wir uns, und meinten, dass wir eher aussehen wie zwei Yetis und nicht wie Bergsteiger. Wir lachten und es war uns schließlich egal, außer uns war ja niemand da, der uns ungewaschene Bergsteiger riechen musste. Als uns die Morgensonne weckte, wir packten unsere Siebensachen und machten uns an den Abstieg. Wir waren sehr traurig darüber, dieses friedliche Plätzchen aufgeben zu müssen.

Insgeheim hofften wir, dass es am Parkplatz eine Transportmöglichkeit geben würde, hatte aber kein Glück. Warten brachte nichts und so blieb uns nur übrig zu laufen. Gegen Mittag kamen wir an der Hazienda vorbei und kamen später, weiter unten, auf eine festere Schotterstraße. Noch aber lag eine große Wegstrecke vor uns. Langsam ging die Sonne unter. Ein Pony, das am Wegesrand stand und uns neugierig anstarrte, sorgte für eine willkommene Unterbrechung. Pony kraulen war angesagt. Später mussten uns unsere Stirnlampen dann den Weg leuchten.

Hunde bellten uns an, als wir die ersten Häuser von San Ramon erreichten, wir hatten Angst an ihnen vorbeizugehen. Das eine und das andere Mal kamen ihre Besitzer und jagten sie mit einem Tritt davon, an den anderen mussten wir wohl oder übel vorbei. Dann endlich erreichten wir die Bäckerei von Lorenzo und er hatte Milchbrötchen für uns. Wir verbrachten die Nacht bei ihm, waren müde und dankbar. Natürlich mussten wir, bevor wir uns aufs Ohr hauen konnten, Lorenzo und seiner Familie von unserem Abenteuer berichten.

Der Rest unserer Reise ist schnell erzählt. Zurück in Quito reinigten wir all unsere Sachen. Wir hatten noch zwei Wochen, die wir in Ecuador verbringen konnten und wollten die Hälfte davon im Urwald und die andere Hälfte an der Küste verbringen. Tatsächlich sind wir dann zwei Tage im Nebelwald Ecuadors umher gestreift waren und fuhren dann wieder an die Pazifikküste. Eine Woche blieben wir in Montanita und trafen alte Freunde. Von dort ging es wieder im Luxusbus nach Lima.

Gut, der Cotopaxi war jetzt nicht gerade der Snowboardberg. Trotzdem hat es sich gelohnt, es war meine erste selbst durchgeführte Expedition und ich habe sehr viel über das Höhenbergsteigen erfahren, über die Tücken der Logistik, dem richtigen Equipment und den Menschen in Ecuador. Nicht zuletzt haben wir viel Selbstvertrauen uns selbst gegenüber gewonnen.

Servus, ade, hasta la vista.
Hermann Ch. Keese

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