Durch die erste Bergtour hoch motiviert blieben wir nicht mehr lange im Hostal, sondern brachen zur zweiten Tour auf. Unser Ziel, der Illiniza Norte (5116 m). Mein erstandener Kletter- und Tourenführer empfahl uns, unweit des panamerikanischen Highways, ein Taxi zu nehmen, welches uns zu einem Parkplatz bis auf 3900m bringen würde. Einen Fahrer hatten wir schnell gefunden und so saßen wir wenig später auf der Ladefläche seines Geländewagens. Diesmal hatten wir das Zelt dabei und Verpflegung für eine Woche und waren froh, dass wir nicht die ganze Strecke laufen mussten.



Es dämmerte schon, als wir beim Parkplatz ankamen. Weit konnten wir an diesem Abend nicht mehr gehen und schlugen schon bald unser Nachtlager auf. Am nächsten Tag hatten wir eine lange Etappe vor uns. Zuerst trug Linda Ihren Rucksack noch selbst, doch später wurde ihr die Last zu viel und ich musste ihr zweimal beim Tragen helfen. Natürlich war das mühselig, doch als wir am Ende der Etappe auf circa 4400m einen wunderschönen Platz zum Zelten fanden waren alle Strapazen vergessen. Sogar Wasser gab es in einer unterhalb gelegenen kleinen Schlucht. Und wir hatten einen super Ausblick auf unser großes Ziel, den Cotopaxi. An diesem Abend saßen wir lange vor dem Zelt und bestaunten das Farbenspiel seines Gletscherhutes im Licht der untergehenden Sonne.

Im Zelt kuschelten wir uns in unsere superflauschigen Schlafsäcke. Diese hatten einen linken und einen rechten Reißverschluss und so konnten wir sie koppeln. Das schaffte Körperwärme, doch auch so hätten wir nicht gefroren. Der nächste Morgen war wunderbar. Ich bereitete in Ruhe das Frühstück. Wir hatten keine Eile und genossen den Tag mit kleineren Spaziergängen. Zum Abend stiegen wir auf die Scharte, die zwischen dem Illiniza Norte und seinem Bruder, den Illiniza Süd lag. Die Scharte hatte gegen Westen einen Taleinschnitt und noch lange saßen wir in der untergehenden Sonne. Den Rückweg legten wir mithilfe unserer Stirnlampen sicher zurück. Am nächsten Tag wollten wir den über 5000 m hohen Berg angehen.

Leicht bepackt brachen wir in der Morgendämmerung auf. Den Weg bis zur Scharte kannten wir ja schon, von da ab führte dieser auf den in Süd-Nord gelegenen Bergrücken. Anfangs kamen wir auf dem weichen Boden gut voran, später wurde es felsig und wir mussten klettern. Es war einfach toll, auf dem griffigen Felsen weiter aufzusteigen, den Gipfel immer im Blick. Schroff ragten die Steine empor und manchmal war es wie ein Labyrinth, manchmal mussten wir von Felsblock zu Felsblock springen.

Erstaunlicherweise machte uns die Höhe bisher keine Schwierigkeiten, bis Linda auf einmal meinte, dass sie Kopfschmerzen bekommen würde. Wir machten eine kurze Pause und ich gab Ihr zu trinken. Natürlich wusste ich über die Gefahr der Höhenkrankheit Bescheid, doch ich wollte hier noch nicht aufgeben und drängte Linda weiter zu gehen. Diese Tour sollte ja der Akklimatisation dienen uns unser Lager war nicht weit weg. Aber wenig später mussten wir aufgeben, denn die Kopfschmerzen wurden schlimmer. Also drehten wir um und liefen auf einen von oben zu erkennenden See zu. Wo wir auf dem Weg berghoch drei oder vier Schritte brauchten, rutschten wir nun im losen Lavagestein in einem Schritt herunter.
 

Am See angekommen ließen wir uns das kühle, frische Nass munden. Zum Glück ließen Lindas Kopfschmerzen nach und wir machten uns auf den Weg zurück zum Lager. Zwischen den beiden Bergen, etwa 20 Minuten unterhalb des Sattels lag eine Hütte, die nicht bewirtschaftet wird und Bergsteigern als Herberge dient. Wir wussten davon, und als wir auf gleicher Höhe waren, fing es auf einmal an zu schneien. So kam uns die Hütte gerade recht und wir machten eine Pause. Im großen offenen Wohnraum gab es eine Kochecke, dort hatten vorherige Gäste Reis und Nudeln zurückgelassen, so als hätten sie gewusst, dass noch hungrige Gäste kommen würden. Draußen vor der Hütte schneite es immer noch und wir, wir kochten uns einen Nudelreis. Die Zeit verging wie im Flug und draußen dämmerte es schon. Obwohl wir Stirnlampen dabei hatten, entschieden wir uns, aus Bequemlichkeit, hier zu übernachten. Auf den Etagenbetten lagen genügend Decken herum und kamen so auch ohne Schlafsäcke gut durch die Nacht.

Am Morgen gingen wir zurück zum Zelt. Dort genehmigten wir uns erst einmal ein kräftiges Frühstück und ein bisschen waren wir traurig dieses kleine Stückchen Paradies jetzt aufgeben zu müssen. Wir packten all unsere Habseligkeiten zusammen und machten uns auf den Rückweg. Am Parkplatz wartete diesmal kein Taxi auf uns und wir gingen weiter, immer der Straße entlang. Nach ungefähr einer Stunde Wegstrecke kam uns ein kleiner Lastwagen entgegen auf dessen Pritsche sich eine 15-köpfige Klettergruppe transportieren ließ. Ob uns der Lkw auf der Rückfahrt mitnehmen wird? Warten oder nicht warten? Wir entschieden uns fürs Weitergehen mit eher langsamer Gangart.

Es dauerte eine dreiviertel Stunde, die Sonne stand schon ziemlich hoch und das Tragen der schweren Rucksäcke wurde zur Qual, bis es so weit war und der Lkw-Fahrer für uns hielt. Der Fahrpreis war schnell verhandelt, wir sprangen auf die Pritsche und im frischen Fahrtwind ging es talwärts. Am Highway stoppten wir den nächsten Bus und weiter ging es zurück nach Quito.

Am nächsten Tag bunkerten wir Kalorien. Schon zum Frühstück genehmigten wir uns ein "all you can eat Angebot". Für etwas weniger als vier Dollar konnten wir so viel und so lange frühstücken, wie wir wollten. Es gab Eier, Pfannkuchen, eine große Anzahl von Früchten und die verschiedensten Sorten an Brot, Käse und Marmelade. Abends gingen wir Sushi essen und vergrößerten unser körpereigenes Eiweisdepot. Zwischendurch studierte ich die Südroute, wie sie im Kletterguide beschrieben wurde. Den Weg bis zum Basislager konnte ich auf der Karte nachvollziehen. Doch oben auf dem Gletscher musste ich mich wohl auf meinen Instinkt und meine Fähigkeit die richtige Route zu lesen, verlassen. Im Guide stand zwar, dass der Weg mit Wands markiert ist, doch darauf wollte ich mich nicht verlassen. Auch wurde die eigene Herstellung derselben empfohlen. Was war damit gemeint? Ich brauchte Stunden, um im Internet die Bedeutung von Wands herauszufinden. Es waren Wegmarkierungen damit gemeint, die einem an langen Stangen einen sicheren Rückweg bei Nebel oder Schneetreiben gewähren sollen. Es gab also noch einiges zu tun.

Woher all die Teile bekommen? Noch schwieriger wurde es für mich, den Spanisch sprechenden Menschen klar zu machen, was ich wollte. Ich brauchte einen ganzen Tag, um Klebefolie, Papier in Signalfarbe und das schwierigste, Bambus Stecken, zu bekommen. Fündig wurde ich schließlich in einem der riesigen, im amerikanischen Stil erbauten Malls am Rande von Quito. Zurück im Hostal waren wir den ganzen Abend mit dem basteln der Wands beschäftigt.

Auch schaute ich mir die Karten, die ich beim Militär besorgt hatte genau an und verglich die Routenbeschreibung aus dem Guide damit. Der Anfahrtsweg deckte sich und auch ein geeigneter Platz für ein Basislager war klar auszumachen. Nur die Route zum Gipfel blieb vage. Wahrscheinlich muss ich den Weg vor Ort selbst finden. Jetzt fehlte nur noch die Verpflegung für zwei Wochen und das Benzin für den Kocher. So besorgte ich in der hiesigen Markthalle allerlei Körner und Flocken und mischte das ganze mit Milchpulver zu einem trockenen Müsli. Auf dem Rückweg wurden an einer Tankstelle noch zwei PET Flaschen mit Benzin gefüllt. In unserem Zimmer legten wir dann alle Ausrüstungsgegenstände auf den Boden und staunten nicht schlecht, was wir alles mitschleppen müssen. Wir packten alles in unsere Rucksäcke und zum Schluss schnürte ich noch mein Snowboard an meinen Rucksack.

Als wir uns auf den Weg zum Busbahnhof machten, starrten uns manche Passanten an als wären wir Aliens. Ein Bus brachte uns wieder zum panamerikanischen Highway. Zum Glück standen an der Abzweigung nach San Ramon – von dort wollten wir unsere Tour starten – ein paar Häuser. Linda zog los und organisierte in Windeseile einen Fahrer mit Pick-up. Wir nahmen Platz auf der hart gefederten Ladefläche und machten es uns soweit möglich bequem und hatten während der Fahrt immer einen grandiosen Blick auf den wolkenlosen Cotopaxi.

Wir fuhren durch Dörfer, an Feldern entlang und durch einen duftenden Eukalyptus Wald. Je weiter wir uns von der Hauptstraße entfernten, desto schlimmer wurde der Zustand der Straße. Doch auch diese Fahrt fand ihr Ende und so luden wir unser Gepäck auf dem Dorfplatz in San Ramon ab und entlohnten unseren Fahrer. Neugierige Kinder umringten uns. Es war schon später Nachmittag und wir waren froh, nicht alleine zu sein. Genau vor uns war eine Dorfbäckerei. Wir gingen dorthin und lernten Lorenzo, Bäcker und Ortsvorsteher in Personalunion, kennen.

Wir verstanden uns gleich sehr gut und erzählten ihm von unserem Vorhaben in einem Kauterwelsch aus Spanisch und Englisch. Wir konnten wenig Spanisch, Lorenzo wenig Englisch, aber irgendwie klappte es. Er erzählte uns, dass bald die Regenzeit beginnen würde. Wir konnten ihm verständlich machen, dass wir heute noch bis zum Ende der Straße kommen wollten und er bot uns gleich seine Hilfe an. Wir sollten nur ein bisschen warten, denn bald wird er die Bäckerei schließen und dann bringt er uns mit dem Molkerei Fahrzeug bis zum Ende des Weges. Derweil aßen wir frische Milchbrötchen und tranken Coca Cola. Als es dann soweit war, war es schon reichlich spät und es es wurde langsam dunkel. Für Lorenzo kein Problem, er lud uns einfach zu sich nach Hause ein.

Wir nahmen sein Angebot gerne an und freuten uns richtig. Lange saßen wir abends noch zusammen und erzählten voneinander, nur schade, dass wir keine Fotos von unserem Zuhause dabei hatten. Morgen wollen wir ihn bei seiner Arbeit begleiten. Früh gegen vier Uhr weckte uns Lorenzo. Wir gingen mit ihm hinaus zu seinen Kühen, die er melken musste, schließlich brauchte er Milch um seine leckeren Milchbrötchen backen zu können.

Später wurde Alfalfa, das Futter für seine Meerschweinchen geschnitten und danach halfen wir bei der Feldarbeit auf dem Acker vor seinem Haus. Es gab immer was zu tun. Wir blieben eine Woche und haben einen tiefen Blick in die Art zu leben von Lorenzo und seine Familie bekommen. Als wir aufbrachen, ließ es sich Lorenzo nicht nehmen und brachte uns mit seinem näher zu unserem Ziel, dem Cotopaxi. Seine Frau und seine Kinder kamen auch mit. Nach langer Fahrt und ziemlich durchgeschüttelt, kamen wir zu einem kleinen Wendeplatz. Dort verabschiedeten wir uns sehr dankbar von Lorenzo und seiner Familie, nahmen unsere schweren Rucksäcke und zogen los.

Text und Fotos: Hermann Ch. Keese

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