Nur in wenigen Regionen der Welt ist man wirklich noch mit der Natur allein. Das Okavango-Delta im Nordwesten von Botsuana zählt unbestritten dazu und steht für ein Abenteuer abseits jeglicher Zivilisation. Das größte Binnendelta der Welt kann nur mit einem heimischen Einbaum, dem sogenannten Mokoro, erkundet werden. Doch das birgt viele Gefahren.

Am Anfang überwiegt die Skepsis. Mit einem Einbaum tief in das Okavango-Delta zu fahren klingt eigentlich spannend. Aber wenn man dann vor dem Einbaum bzw. Mokoro, wie die Einheimischen die kleinen Boote nennen, steht, überkommen einen doch gewisse Zweifel. Auch die Anweisungen, die uns im Vorfeld erteilt wurden, verringern nicht unsere Sorgen, eher im Gegenteil: Keine schnellen Bewegungen machen! Nicht aufstehen! Nicht in das Wasser langen! sind nur einige "Tipps", die uns mit auf den Weg gegeben wurden. Damals konnten wir noch nicht ahnen, dass uns diese Tipps später das Leben retten werden.

Wir stehen also an einem kleinen Anlegeplatz in der Nähe von Maun, dem Eingangstor des Okavango Deltas, und schauen mit einer Mischung aus Vorfreude und Angst auf die ca. 8 m langen Mokoros, die vor uns im Gras liegen. Auf uns warten drei Tage im größten – und einzigen – Binnendelta der Welt. Komplett in der Natur, ohne Internet und Handy. Ein junger Mann, ca. Mitte 20, sieht uns anscheinend unsere Ängste an. Er kommt auf uns, streckt uns mit einem Lächeln die Hand entgegen und meint nur: "Hi. My name is Philip. Take a seat, relax and enjoy your trip to the Delta." Und unsere Tour beginnt.

Das Okavango-Delta liegt im Nordwesten von Botsuana. Der afrikanische Staat, der zu Großteilen aus Wüstenregionen besteht, hat keinen Meereszugang und auch nur wenige Flüsse. Wasser ist daher das wichtigste Gut im Land und gerade dem Delta mit seinem glasklaren Nass kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Das Delta bietet Lebensraum für viele Wildtiere: Zebras und Giraffen finden hier das nötige Futter. Während der Trockenzeit durchstreifen Elefantenherden die Region. Flusspferde regieren die Wasserkanäle zwischen den Inseln und auch Raubtiere wie Leoparden oder Löwen sind in einigen Teilen des Deltas zu finden.

Kanäle wie in Venedig, aber viel mehr grün
Auf unseren ersten wackligen Metern durch die dichte Vegetation und unter der sengenden Mittagssonne sind jedoch noch keine großen Wildtiere zu sehen. Einzig ein paar Vögel ziehen über unseren Köpfen ihre Kreise. Nachdem wir uns nach einigen 100 Metern an unser neues Gefährt gewöhnt haben, folgen wir Philips Tipp und beginnen zu relaxen. Das Mokoro gleitet langsam und gemächlich durch die engen Kanäle der grünen Landschaft bestehend aus Schilf, Papyrus und Gras. Das Grün hängt teilweise sehr tief in den Kanal und hinterlässt einen nassen Film auf der Haut, wenn man mit dem Arm oder Kopf beim Durchfahren der Barrieren dagegen stößt. Eine willkommene Erfrischung bei einer fast schon unerträglichen Hitze. Wasserlilien sorgen auf dem Wasser für weiße oder rosane Farbtupfer in einer ansonsten sattgrünen Landschaft. Vom Heck aus steuert Philip wie ein Gondoliere in Venedig mit einem großen Holzstab das Mokoro sicher durch die weite Landschaft. Während für uns die verästelten Kanäle des Deltas ziemlich identisch aussehen, scheint unser Bootsführer keine Probleme bei der Orientierung zu haben. Er ist in der Delta-Region geboren und fährt bereits seit mehreren Jahren Touristen durch die Kanäle.

Um das Okavango zu erschließen und von seinem Nahrungsreichtum leben zu können, sind die Einheimischen auf die Einbäume angewiesen. Mokoros können in den engen Kanälen des Okavango Geschwindigkeiten von bis zu 30 km/h erreichen und dienen somit als das wichtigste Verkehrsmittel der Region. Im Delta gibt es keine Straßen, die Infrastruktur basiert auf Wasserwegen. Fischer nutzen die Einbäume, um ihre Netze im Fluss zu platzieren und so am Nahrungsreichtum zu partizipieren. Doch die Anzahl an touristischen Fahrten hat in den letzten Jahren stark zugenommen und stellt mittlerweile die Hauptnutzung für die Einbäume dar. Bis zu sechs Personen können in den Booten angeblich transportiert werden. Uns kommt das Boot bereits mit drei Personen sehr voll vor. Gefertigt wurden die Mokoros früher aus dem Holz des Leberwurstbaums, heute sind sie aus Fiberglas. "Um die Bäume zu schützen", wie uns Philip erklärt.

Einheimische sind für Natur selbst verantwortlich
Generell haben die Einheimischen im Okavango-Delta gelernt und verstanden, Tourismus und Natur sinnvoll zu verbinden. Aufgrund einer speziellen Übereinkunft mit der botsuanischen Regierung sind die Einheimischen selbst für den Erhalt des Naturerbes zuständig. Während in den Nationalparks und Game Reserves in Botsuana für Besucher und Camper strenge Kontrollen herrschen, die von Rangern überwacht werden, liegt diese Überwachungsfunktion im Delta bei den Einheimischen. Der verantwortungsvolle Umgang mit der Natur ist für sie die Möglichkeit, Geld zu verdienen. Einerseits durch den Verkauf der örtlichen Nahrungsmittel, die ihnen das Delta liefert, und andererseits durch den Tourismus. Wird die Natur zerstört, fallen auch die Einnahmequellen für die Einheimischen weg. Das haben sie hier verstanden und stehen deshalb für einen verantwortungsvollen, sanften Tourismus ein.

Nach rund eineinhalb Stunden Fahrt haben wir unseren Campingplatz tief im Delta erreicht. Nachdem unter den interessierten Blicken einiger Meerkatzen die Zelte aufgebaut und ein Lagerfeuer entfacht wurde, wird zuerst entspannt, um der Nachmittagshitze zu entgehen. In der Zeit des Sonnenuntergangs steht dann unsere erste Fußsafari an. Zusammen mit unseren Guides machen wir uns auf zur Pirsch. Spurenlesen ist angesagt. Während sich die Sonne hinter dem Astwerk der Akazien schnell nach unten arbeitet, tollt eine Gruppe von Pavianen oben in den Bäumen sowie am Boden umher. Unsere Anwesenheit scheinen sie nicht zu bemerken – bzw. sie lassen sich nicht von ihrem Spiel abhalten. Anschließend entdecken wir einige Zebras, die ihr Abendessen an einem Wasserloch einnehmen. Im Licht des aufgehenden Vollmonds wandern wir wieder zurück zu unserem Zeltplatz. Die Nacht wird anschließend geprägt von Affengeschrei und lauten Vogelrufen rund um unser Zelt – an Schlaf ist dabei eher wenig zu denken.

Pünktlich zum Sonnenaufgang sind wir deshalb schon wach und verhältnismäßig munter. Die nächste Fußsafari steht bereits auf dem Programm. Philip gibt dabei Einblicke in das Leben rund um das Delta. Die Einheimischen nutzen die hiesige Flora für diverse Heilmittel. Die Rinde eines Baums heilt Malaria, die Äste eines anderen werden zum Zähneputzen genutzt. Manche Früchte dienen zur Weingewinnung, andere zur Wundheilung. "Viele Leute sprechen davon, dass Afrikaner ungebildet seien. Aber dieses Wissen über die Kräfte von Pflanzen wird über Generationen weitergegeben und ist eine andere Art von Bildung", erklärt Philip. Auch das Aufspüren von Wildtieren gehört mit zum Wissen der Einheimischen. Deshalb ist es für uns ein leichtes, eine Herde Zebras und einige Giraffen zu entdecken. Wir können uns bis auf wenige Meter an die Tiere heranwagen und sie beim Fressen beobachten. Jedoch werden auch wir von den wachsamen Augen der Zebras verfolgt, die jede unserer Bewegungen genau beobachten. Bei einem abschließenden, erfrischenden Bad im Okavango, das gleichzeitig als Duschersatz zu sehen ist, erklärt uns Philip, dass auch die Stiele der Wasserlilien als Nahrungsmittel dienen. "Schmeckt ähnlich wie eine Kartoffel", meint unser Guide.

Flusspferde sorgen für Pulsrasen
Am Abend steht dann das absolute Highlight unserer Tour an: eine Fahrt in den Sonnenuntergang mit dem Mokoro. Auf dem Weg sammeln wir noch die am Nachmittag ausgeworfenen Fischernetze ein, die nun prall gefüllt sind. Unser Abendessen ist gesichert. Wir fahren mit unserem Mokoro der afrikanischen Abendsonne entgegen, von weitem hört man bereits das Grunzen der Flusspferde. Als sich der Kanal zu einem kleinen See weitet, sehen wir auch die ersten Dickhäuter im Wasser tümpeln.

Flusspferde sind für die meisten Todesfälle von Menschen in Afrika verantwortlich. Gerade Fischer kommen immer wieder in Konflikte mit den bis zu 4 Tonnen schweren Säugetieren. Mit ihren starken Zähnen, die aus Elfenbein bestehen, können sie problemlos Kajaks oder Mokoros durchbeißen. Auf Augenhöhe und mit einem etwas mulmigen Gefühl passieren wir die ersten Kolosse. Plötzlich springt ca. 2 m von unserem Mokoro entfernt ein Flusspferd mit weit aufgerissenem Maul aus dem Wasser und direkt in Richtung unseres Bootes. Das aggressive Schwergewicht zeigt uns klar, dass wir als Eindringlinge in seinem Territorium nichts verloren haben, bevor es wieder untertaucht. Aber wohin ist es geschwommen? War es nur eine erste Attacke oder kommt das Hippo nochmal zurück, um unser kleines Boot zu versenken? Unser Puls rast, Adrenalin wird freigesetzt. Uns gehen die Tipps vom Reisebeginn durch den Kopf: keine hektischen Bewegungen. Nicht aufstehen! Nicht ins Wasser fassen! Auch unser junger Bootsführer Philip behält einen kühlen Kopf. Gekonnt und schnell steuert er unser Mokoro rückwärts weg von der Gefahr und tief ins ufernahe Schilf. Hier verharren wir leise und warten, bis sich das Hippo wieder an der Oberfläche zeigt.

Bis zu sechs Minuten können Flusspferde unter Wasser bleiben und sich dort unbemerkt fortbewegen. Zum Glück hat es der Bulle nur bei einem Warnruf belassen und bei seinem nächsten Auftauchen seine Aufmerksamkeit bereits auf einen Konkurrenten gelenkt, den er mit weit aufgerissenem Maul attackiert. Vorsichtig fahren wir am Ufer entlang an den beiden Streithähnen vorbei.

Afrikanische Abendsonne mit einmaligem Farbenspiel
Erst als wir einige Distanz zwischen uns und die Flusspferde gebracht haben, nimmt unser Bootsführer wieder Schwung auf. Auch er möchte anscheinend schnell die gefährliche Situation verlassen. Kurz darauf legen wir mit unserem Mokoro an einer kleinen Insel an. Mit sicherem Boden unter den Füßen beobachten wir den Sonnenuntergang. Wie ein roter Feuerball versinkt die Sonne hinter den Bäumen und taucht dabei den Himmel in ein atemberaubendes rot-oranges Licht. Auch die Flusspferde lassen sich das Spektakel nicht entgehen und strecken immer wieder ihre Köpfe aus dem Wasser. Erst nach Sonnenuntergang verlassen sie das Wasser, um an Land zu grasen. Einige der Ungetüme warten bereits sehnsüchtig und hungrig in Ufernähe. Nur unsere Anwesenheit hält sie ab, an Land zu gehen. Um weiteren Konflikten mit den aggressiven und gefährlichen Grasfressern zu entgehen, entschließen wir uns, wieder zurück zu unserem Zeltplatz zu fahren. Dort angekommen wird am Lagerfeuer der frischgefangene Fisch zubereitet – ein wahrhafter Leckerbissen.

Traditionell endet der Abend: Unsere Guides singen Lieder aus der Delta-Region. Die Texte handeln von alten Männern, Fröschen oder dem Leben am Fluss. Zusammen mit uns wird am Ende die Schönheit Afrikas besungen, während der Sternenhimmel den Blick auf eine unzählige, funkelnde Pracht preisgibt. Trotz weiterhin vieler Geräusche fällt das Schlafen in dieser Nacht um einiges leichter.

Bevor wir unsere Zelte im Delta abbauen, beginnt unser letzter Tag mit einer weiteren Fußsafari. Auf der unserem Camp gegenüberliegenden Flussseite haben wir die Möglichkeit, eine große Giraffenherde mit Jungtieren zu beobachten. Das ruhige, etwas apathisch anmutende Verhalten der großen Säugetiere hat eine Art meditative Wirkung und lässt einem die Außenwelt vergessen.

Nachdem wir uns in den letzten beiden Tagen an die Fahrten mit dem Mokoro gewöhnen konnten, wollen wir die Rückfahrt zu unserem Ausgangspunkt genießen. Da uns der Weg flussabwärts führt und die Strömung im Fluss überraschend stark ist, sollte diesmal auch wirklich relaxen angesagt sein. Doch plötzlich herrscht wilde Aufregung unter unseren Guides: "Hippo in the chanal. Hippo in the chanal", rufen sie sich im Flüsterton immer wieder zu. Nach den Erfahrungen des Vortages ist eine weitere Begegnung mit einem der Dickhäuter nicht von unserem Interesse. "Normalerweise versperren Flusspferde nicht den Kanal, sondern sammeln sich in den größeren Ecken. Wir müssen vorsichtig sein und nach anderen Wegen suchen", warnt Philip. Mithilfe einer Plastikflasche bestimmt er die Strömung des Flusses und ermittelt eine Alternativroute. Doch auch hier erwartet uns Mitten im Kanal ein Flusspferd. Dieses zeigt jedoch nur wenig Interesse an unserem Boot und lässt uns glücklicherweise problemlos passieren.

Auf unseren letzten Metern im Delta erzählt uns Philip noch, dass er gerade an einem Buchprojekt arbeitet. Er schreibt über seine Erlebnisse mit dem Delta und den Touristen, um den Menschen außerhalb des Deltas das Leben hier zu erklären. "Das Buch soll rund 250 Seiten haben und ich will im September 2017 fertig sein", erzählt der junge Einheimische. Er hofft, sein Buch in den USA und Europa verkaufen zu können. "Ich halte Kontakte zu verschiedenen Menschen in England, die mir dabei helfen wollen." Zur Kommunikation nutzt er E-Mails und Facebook. Die weltweiten Kommunikationsmittel machen also auch an diesem Kleinod der Abgeschiedenheit nicht halt.

Weitere Impressionen von der Tour:

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