zeitlos hw
- Quer durch, von Port Augusta bis Darwin führt der Stuart Highway - „The Road to Hell“ - eine australische Legende. Ein 2720 Kilometer langes Asphaltband hat ihn gezähmt. Aber wer Staub schlucken will, muss nur die Hauptroute verlassen und findet die Traumpfade, die von irgendwo nach nirgendwo führen und an Orte, die selbst Legenden sind.
Du kommst an, bist total benommen, wie in Trance. Mehr als 24 Stunden Flug mit kurzem Stopover in Singapur stecken in den Knochen. Jetzt brauch ich erst mal ein paar Stunden Schlaf. Während ich mich am Tourist Counter um eine Bleibe kümmere, parkt neben mir ein untersetzter, knorriger Typ, Ende fünfzig seinen Wagen. Offensichtlich wartet er darauf, dass ich endlich ein Hotel gefunden habe und er zum Zuge kommt. „l'm David", stellt er sich vor und bietet mir eine Fahrt zum Hotel an. Ein ultrakurzer Dialog folgt: How much? Twentyfive Dollars. O. K. Ich will nur noch ins Bett. Vom Airport bis in die City von Melbourne sind es dreißig Minuten Fahrt. Dreißig Minuten und ich kenne beinahe die ganze Lebensgeschichte Davids. Während des Zweiten Weltkrieges hat es ihn von England nach New York verschlagen. Dort verdiente er in den späten Fünfzigern sein Geld als Profiboxer. Als Beweis kramt er unterm Sitz einen vergilbten, alten Zeitungsausschnitt hervor. Ein Kampf brachte ihn schließlich auch nach Australien - wo er dann hängen blieb. „The best thing that happened to me". Und er ist überzeugt, dass es keinen besseren Platz zum Leben gibt. Sein leidenschaftliches Plädoyer für dieses Land wirkt ansteckend. Sollte der nach der Antarktis menschenleerste Kontinent wirklich der beste Platz zum Leben sein? Meine Müdigkeit ist auf einmal wie weggeblasen und am liebsten würde ich mich statt ins Hotel gleich direkt zu der Werkstatt fahren lassen, wo meine per Flugzeug angereiste 1100 GS wartet. Frühmorgens verlasse ich Melbourne - mich zieht es förmlich in die rostrote Wüste des Outback und ich kann gar nicht schnell genug nach Port Augusta kommen.
Als die Sonne aufgeht, stehe ich an der Stelle, an der vor 138 Jahren John McDouall Stuart zu seiner Expedition an die Nordküste aufbrach. Er war Monate unterwegs. Seit 1987 ist der Stuart Highway befestigt und keine so große Herausforderung mehr. Doch wer Staub schlucken will, kommt auch heute noch auf seine Kosten. Ich entscheide mich für den direkten Weg, will Port Augusta weit hinter mir lassen und plane erst für den Rückweg einen Abstecher in die Flinders Range. Mein erstes Ziel: Coober Pedy. Bis dahin sind es 539 Kilometer. Ich genieße es, auf einer Straße unterwegs zu sein, die sich am Horizont verliert. Die Szenerie hat etwas Unwirkliches. Mit jedem Kilometer „beame" ich mich mehr und mehr in eine geradezu metaphysische Stimmung - nur zwei Tankstopps holen mich auf den Boden der Tatsachen zurück.
Coober Pedy kündigt sich schon von weitem an. Überall säumen überdimensionierte „Maulwurfshügel" aus weißem Kalkstein die Straße. In der Sprache der Aborigines bedeutet Coober Pedy „Weißer Mann im Erdloch". Das hat seinen Grund, denn Opal Digger aus aller Herren Länder sind für die Hunderttausende von Erdlöchern, die hier den Boden zum Sieb machen, verantwortlich. Glücksritter, die - mit wenigen Ausnahmen mehr schlecht als recht über die Runden kommen. Viele Opalsucher haben wegen der großen Sommerhitze sogar ihre Wohnungen unter Tage gelegt. Ziemlich schräg, das „Dugout" - so heißen die Erdwohnungen - von „Crocodile Harry“. Hier lebte er in seiner Fantasiewelt und trauerte vergangenen Zeiten nach. Dass es früher in Coober Pedy deutlich wilder zugegangen sein muss, beweist heute noch ein Schild vor dem Drive-in-Kino: „Es ist streng verboten, Sprengstoff mit in die Vorstellung zu bringen".
Südlich von Alice Springs, bei Erlunda, verlasse ich den Stuart Highway und nehme die Straße zum Herzen des fünften Kontinents, dem Ayers Rock, unter die Räder.
Die Aborigines nennen ihn Uluru, für sie gehört er zu den heiligen Stätten, ebenso wie die nur 40 Kilometer davon entfernten Olgas, die sie Katja Tjuta - viele Köpfe - nennen. Die Olgas sind aus Sandstein bestehende Buckel und nicht weniger spektakulär als der Uluru.
Heute gehören beide zum Uluru-Katja-Tjuta-National-Park und sind wieder im Besitz der Aborigines. Es ist absolut empfehlenswert, sich im Cultural Centre etwas ausführlicher über die Region zu informieren. Wer sich hier schlaumacht, versteht ein wenig mehr über die Ureinwohner des Landes und ihre besondere Beziehung zur Natur. Ich erfahre, dass die Aborigines nie auf die Idee kämen, den Uluru zu besteigen, denn für sie gehört er zur „Traumzeit" und ist Sitz der Regenbogenschlange, einem Schöpferwesen. Die Traumzeit ist für sie eine zweite Wirklichkeit und ihnen genauso wichtig wie die für uns sichtbare Gegenwart.
Viele Aborigines beherrschen die traditionellen Handwerkstechniken noch heut: Holzbearbeitung, Feuer machen, Klebstoffe herstellen.
Auch wenn ich nicht alles verstehe, ziehen mich Lebensweise und Mythen der Ureinwohner immer mehr in den Bann und ich melde mich spontan für eine Aboriginal Cultural Tour an. Ich will einfach mehr wissen über die traditionellen Lebensweisen der Aborigines. Noch heute beherrschen viele von ihnen die Kunst des Feuermachens, Flechtens und Malens und das nur mit den Dingen, die die Natur zu bieten hat. Und sehr erstaunt bin ich, als ich plötzlich feststellen muss, dass der Superkleber bei weitem keine Erfindung der Neuzeit ist.
Am Nachmittag stelle ich meine BMW am Carpark in der Nähe der Olgas ab und tausche die schweren Motorradstiefel mit Wanderschuhen. Ich mache mich auf den Weg ins „Valley of the Winds". Schon nach wenigen Metern reißt der Touristenstrom ab und ich habe Katja Tjuta ganz allein für mich und bin richtig froh, dass die meisten der vielen Touristen sich nicht mehr als 500 Meter vom Ausgangspunkt entfernen - und mir Zeit und Ruhe lassen für meine Traumzeit.
Zwischendurch braucht mein Enduroherz aber eine richtig schlechte Straße oder Piste und deshalb entschließe ich mich, auf dem Weg vom Kings Canyon zu den West MacDonnell Ranges die Hauptroute zu verlassen und eine Abkürzung zu nehmen. Auf meiner Karte ist der Weg als Four Wheel Drive Track eingezeichnet und mit dem Attribut „genehmigungspflichtig" versehen. Gerade mal 32 Kilometer? Ich halte es mit australischer Coolness - „No worries!" - und fahre einfach los.
Die ersten Kilometer sind kein Problem. Aber dann wird der Weg so schmal und tiefsandig, dass ich ernsthafte Schwierigkeiten bekomme, die vollbepackte GS auf dem gewünschten Kurs zu halten. Und das ist dringend erforderlich, da rechts und links davon Bäume, Sträucher und messerscharfes Spinifex-Gras lauern. Langsam wird mir klar, dass die Abkürzung gar keine ist - aber enduromäßig komme ich voll auf meine Kosten. So wird es dunkel und mein Ziel - der Ort Glen Helen - ist noch meilenweit weg. Ich entschließe mich, lieber hier draußen zu übernachten, als bei Dunkelheit auf dieser schwierigen Piste Kopf und Kragen zu riskieren.
Als die Sandpiste noch eine Autobahn war.
Einer King Brown, auch Mulga genannt, lässt man gerne die Vorfahrt. Mulgas werden bis zu zwei Meter lang, im Ausnahmefällen bis zu drei Meter. Sie zählen zu den giftigsten Schlangen überhaupt, sind aber nicht von der aggressiven Sorte.
Um vor ungebetenen Gästen - Spinnen, Schlangen usw. sicher zu sein, baue ich mein Zelt auf, rolle meine Therm-a-Rest aus und freue mich schon auf meine „Traumzeit". Daraus wird leider nichts. Eine Stunde später bin ich schon wieder wach, weil meine Komfort-Schlafunterlage ihr Leben ausgehaucht hat. Der Grund ist schnell gefunden. Das scharfe Spinifex-Gras hat überall dort, wo ich mit meinem Körpergewicht Druck ausübte, kleine Löcher in die „selbstaufblasende" Matte geritzt. Das war's mit dem Schlafkomfort. Mein Fehler. Gerädert von der harten Nacht sitze ich bei Sonnenaufgang wieder im Sattel. Die großartige Berglandschaft der Western MacDonnell Ranges kann mich nicht mehr stoppen. Ich habe keine Lust, noch eine weitere Nacht auf steinigem Boden zu schlafen und nehme den schnellsten Weg nach Alice Springs und meine Isomatte reparieren.
Dort suche ich als Erstes einen Motorrad-Händler, denn meine GS braucht nach über 8.000 km dringend einen Satz neue Reifen. Bei „Race Motorcycles" werde ich fündig und Chef Wayne Woodberry verspricht mir, dass in einer Stunde alles erledigt sei. Als ich mich im Showroom etwas genauer umsehe, treffe ich alte Bekannte wieder: Von großen Postern blicken Gaston Rahier, Stephane Peterhansel, Heinz Kinigadner und Jutta Kleinschmidt auf mich herab - allesamt Cracks der mir von früher so vertrauten Rallye-Szene. Als Wayne meinen verträumten Blick mitbekommt, führt er mich in seine Werkstatt. Dort steht doch tatsächlich die Rallye KTM von Heinz Kinigadner. Aus ist es mit der geplanten Mittagspause im Restaurant. Ausführlich erzählt er mir von der Wynn's Safari, der ehemaligen AustralienRallye, und von dem noch schwierigeren Enduro-Wüstenrennen Finke Race. In vier Wochen ist es wieder so weit. Wayne schildert mir das in Australien legendäre Rennen so plastisch, dass ich mir fest vornehme, auf dem Rückweg zur Südküste den Streckenabschnitt von Alice nach Finke zu probieren. Doch noch darf ich daran nicht denken, denn allein bis Darwin, dem Nordende des Stuart Highway, sind es noch über 1.500 Kilometer. Eine Menge interessanter Plätze warten noch auf mich.
Kurz vor der alten Goldgräberstadt Tennant Creek komme ich an einer weiteren Kultstätte der Aborigines, den Devils Marbles vorbei. Ab den „Teufels-Murmeln" habe ich es dann eiliger, nach Darwin zu kommen und halte nur noch für Tankstopps oder eine Tasse Kaffee.
Auf einer kleinen Parallelstraße kommt es dann zu einer unheimlichen Begegnung gefährlicher Art: In einer unübersichtlichen Kurve kommt mir urplötzlich auf meiner Fahrbahn ein riesiges Wohnmobil entgegen. Nur noch die Flucht ins Gelände - zum Glück ist genug Auslaufzone da - bewahrt mich vor einem Frontal-Crash. Die Touris, die mich beinahe abgeschossen hätten - offenbar linksverkehrungewohnter Nationalität - halten nicht einmal an!
Darwin, Hauptstadt des Northern Territory, ist ein zwar quirliger, aber überschaubarer Ort. Zahlreiche Touristik-Unternehmen starten von hier aus ihre Fahrten ins Landesinnere. Nach zwei geruhsamen Tagen, die ich zur Erholung von den bisherigen Strapazen und zur Verarbeitung der vielen Eindrücke meiner bisherigen Reise nutze, schließe auch ich mich einer solchen Exkursion an. Lange vor Sonnenaufgang fahre ich los, um mich mit den anderen Touristen am Reynolds River für einen organisierten Bootstrip zu treffen. Bei Sonnenaufgang steigen wir in unsere Boote. Es wird eine unvergessliche Tour, denn zum ersten Mal sehe ich Krokodile in freier Wildbahn - und das zum Greifen nah. Der Tourguide erklärt uns den Unterschied zwischen dem gefährlichen Leistenkrokodil und dem harmlosen Süßwasserkrokodil. Das aggressive Leistenkrokodil gehört mit bis zu sieben Metern Länge zu den größten Krokodilarten und ist an seiner breiten Schnauze zu erkennen. Typisch für einen echten Aussie lässt es sich der Tourguide nicht nehmen, uns auch reichlich „Krokodil-Latein" aufzutischen. Aber vielleicht stimmt ja auch alles. Wenn ja, sterben alljährlich zahlreiche Menschen durch Krokodil-Attacken. Hauptgrund ist wohl, dass viele unterschätzen, wie unglaublich schnell diese Tiere rennen können. Auf kurze Distanzen erreichen sie sogar die Geschwindigkeit eines Rennpferdes! Mein Respekt und meine Faszination für diese Spezies wachsen jedenfalls gewaltig und ich nehme mir vor, mehr davon zu sehen - in freier Wildbahn selbstverständlich. Ich erfahre, dass östlich von Darwin zwischen Wetlands und Kakadu-Nationalpark bei Shady Camp, am Zusammenfluss des Mary River und des Sampan Creek die höchste Population an wild lebenden Tieren anzutreffen sein soll.
Die Ruhepause in Darwin ist vorbei. Ich sattle meine BMW und nichts wie los. Auf dem Highway 36 komme ich flott voran. Nach dem Bark Hut Inn heißt es aufpassen, damit ich die Piste nach Shady Camp nicht verfehle. Mit etwas Glück finde ich die richtige Abzweigung. Ab jetzt brauche ich meine volle Konzentration. Die Regenzeit ist noch nicht lange vorbei und ständig gibt es Wasserdurchfahrten zu bewältigen. Wenn die Furten zu tief sind, warte ich, bis ein Fahrzeug vorbeikommt und mir im Notfall behilflich sein kann. Mit der schweren BMW möchte ich nicht unbedingt alleine im Schlamm stecken bleiben. Ein gewisser Nervenkitzel ist bei den Durchfahrten immer dabei. Wer weiß - vielleicht lauert ein Krok gerade auf sein Frühstück. Doch die einzigen wilden Tiere, die ich zu Gesicht bekomme, sind Papageien, die kreischend über mich hinwegflattern - und natürlich immer wieder Kängurus. Ich komme auf der· BMW richtig ins Schwitzen und freue mich schon auf ein Bier, ein VB (Victoria Bitter).
In Shady Camp angekommen, stehen auf einer großen Grünfläche weitläufig verteilt einige Four-Wheel-Drive-Campmobile - aber weit und breit kein Restaurant zu entdecken. Sollte ich da was falsch verstanden haben? In einer Infobroschüre stand doch ... Ich fahre zu einem der Wohnmobile, eine australische Familie sitzt dort entspannt unter einem Sonnenzelt. Als ich frage, wo das Restaurant zu finden ist, ernte ich schallendes Gelächter. Das nächste ist über hundert Kilometer entfernt, erfahre ich. Hier ist Selbstversorgung angesagt, nicht einmal einen Kiosk gibt es. Darauf war ich nicht vorbereitet. Mein Glück: Australier sind gastfreundliche Menschen, die mich den langen Weg natürlich nicht hungrig und durstig zurückfahren lassen. Rasch sitze ich mittendrin in der Runde mit einem kühlen VB in der Hand. Im Gespräch stellt sich heraus, dass alle Australier, die sich hier oben aufhalten, nicht wegen der Krokodile, sondern wegen der Barramundis gekommen sind, einem Raubfisch aus der Familie der Riesenbarsche. Die bis zu 50 kg schweren Fische sind ein kulinarischer Hochgenuss und vorwiegend in den Gewässern des Nordterritoriums zu finden. Alle sind geradezu im Barramundi-Fieber. Manche fahren sogar mitten in der Nacht mit ihren Booten zum Fischen auf die beiden Flüsse raus. Ich um Krokodile zu sehen. Hier soll es die größte Krokodilsdichte Australiens geben, aber ich sehe kein einziges davon. Als es dunkel wird, nimmt mich ein Fischer mit zu seinem Boot und leuchtet mit einem Scheinwerfer auf den Fluss. Dutzende rot glühender Augenpaare starren mich an: Es wimmelt geradezu von den gefährlichen Echsen! Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich mein Zelt weit genug vom Ufer weg aufgebaut habe. Eine unruhige Nacht wartet auf mich. Schon das leiseste Rascheln schreckt mich aus dem Schlaf. Und das schwülheiße tropische Klima hier oben macht die Nacht vollends zur Tortur für mich. Schweißgebadet liege ich auf meinem Schlafsack, lausche den Geräuschen der Nacht und warte sehnsüchtig auf den Tag.
Nach einem opulenten Frühstück bei meiner Gastfamilie verabschiede ich mich und fahre auf einer staubigen Piste weiter in den Kakadu-National-Park. Hier will ich mir noch die wunderbaren Felsmalereien der Aborigines anschauen und vor allen Dingen die Gunlom-Wasserfälle besuchen. Denn dort wurde ein Großteil des Filmes Crocodile Dundee gedreht. Die Landschaft ist in Wirklichkeit noch weit beeindruckender, als sie mir schon im Kino erschien. Ich bedaure sehr, dass ich nicht mehr genug Zeit für einen längeren Aufenthalt in dem Naturparadies habe. Bis zurück zum Ausgangs- und Endpunkt meiner Reise nach Melbourne, sind es jedoch noch über 4.000 km, nicht gerade wenig für die zehn Tage, die mir noch bleiben. Australien ist halt einfach gigantisch: In dreieinhalb Wochen bin ich 11. 000 Kilometer gefahren - und habe nur einen kleinen Teil des roten Kontinents gesehen. Also gibts nur eines: Wiederkommen! Und das werde ich.