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In acht Tagen ans Nordkap

nordkap

Ich wollte schon immer ans Nordkap. In unzähligen Reiseberichten werden drei, vier oder acht Wochen dafür veranschlagt, aber so viel Zeit hatte ich nicht und das Nordkap blieb ein Traum – bis 2009. 2009 kam mir die Idee: Es müsste auch in wesentlich kürzerer Zeit machbar sein. Meinen Berechnungen nach sollte eine Woche reichen. Freunde, die mitkommen wollten, zweifelten meine Berechnungen an. Sie wollten für die Anreise den Autoreisezug nehmen und mindestens 14 Tage unterwegs sein. Da wurde mir klar, wenn ich ans Nordkap wollte, dann muss ich wohl alleine los.

Meine grobe Route: Weitersfeld - Nordkap und retour. Garmin und Michelin machen das möglich. Der Weg zum Nordkap sollte über die Tschechische Republik, Polen, Litauen, Lettland, Estland und Finnland nach Norwegen führen. Die Rückfahrt über Norwegen, Schweden, Deutschland und Tschechien wieder nach Österreich. Zwei Tage Reserve habe ich zur Sicherheit mal eingeplant. Als Wegbegleiter diente meine 89iger R 100 GS. Mit Doppelzündung, 43 Liter Tank und simpler Technik ist sie für mich das ideale Reisemotorrad. Damit es beim Navigieren keine Pannen gibt wurden ein Medion und eine Garmin Navigationssystem parallel  montiert. Noch ein Satz Mitas Reifen und Öl auf maximal aufgefüllt, damit waren die Reisevorbereitungen auch schon abgeschlossen. Meine Tagesetappenziele hatte ich auf 800 Kilomter geplant. Warschau am ersten Tag, Tallin am zweiten, Oulu am dritten Tag usw.

Abfahrt Weiterfeld am 28. August 2009, acht Uhr morgens. Gegen vier Uhr erreichte ich Warschau und nach einer Tour durch das Zentrum beschloss ich noch bis zur litauischen Grenze zu fahren. Dort wollte ich dann in einem kleinen Hotel essen und schlafen. Der nächste Morgen war kalt und nass. Der Regen zeigte Ausdauer und ich das entsprechende Durchhaltevermögen. Leider hat dieser Zustand die Anzahl der Fotos stark reduziert. Aber in Tallin angekommen war das Wetter wieder erträglich und so konnte ich zumindest von dieser pulsierenden Stadt einen guten Eindruck bekommen. Noch am selben Abend setze ich nach Finnland über.

schiff

Durch Helsinki verliere ich meine geplante Route und muss gegen Mitternacht in einem Wald campieren. Bei Tageslicht werde meine Route schon wieder finden. Der nächste Morgen beginnt mit der Erkenntnis, dass in jedem Finnen die Gene eines Rallyefahrers stecken. Sobald man sie auf einer Schotterstraße antrifft, ist es vorbei mit Tempo 90. Ich war froh als ich wieder auf einer Hauptstraße angelangt war. Zum Glück ist die Bevölkerungsdichte im Norden relativ gering und damit auch das Risiko überfahren zu werden.

Das Wetter in Finnland war gut und die Landschaft aufregend. Der Polarkreis war bald erreicht und ein paar Fotos per SMS versendet. Bis 23 Uhr ginge es dann noch gegen Norden weiter. Diesmal entschloss ich mich für eine der im Norden so populären Holzhütten. In Sodankyla darf man für günstige 40 Euro eine Nacht darin verbringen. Ich lasse mir erklären, dass in Finnland in der Nachsaison die Preise steigen…



kirche

rast

zum kap

Nach einem guten Frühstück geht’s am nächsten Morgen weiter. Bald taucht ein Schild auf: Nordkapp 343 Kilomter. Nach den bisherigen Etappen eigentlich ein Katzensprung. Ein paar Hügel weiter passiere ich die nächste Staatsgrenze: Norwegen. Gleich nach der Grenze ändert sich die Vegetation. Zu Beginn noch dunkelgrün, werden die Wiesen bald spärlich und durch niedrige Büsche und vom Eis abgeschliffene Felsen ersetzt. In Lakselv gibt es dann noch Mittagessen bevor ich das letzte Teilstück in Angriff nehme. Der Artische Ozean liegt hier ganz ruhig im Porsangen.

rast

Die Sonne scheint, es hat milde 15° C und meine Motorrad schnurrt leise vor sich hin. Da die Urlaubssaison, wie bereits schon erwähnt, vorbei ist, bin ich auch ziemlich alleine auf der Straße.
Circa 70 Kilomter vor dem Ziel sind meine Navigationssysteme einstimmig unterschiedlicher Meinung, als die Wegweiser an der Straße. Medion und Garmin waren auf der Reise nicht immer einer Meinung. Nach Gefühl entschied ich mich dem einen oder dem anderen Gerät zu vertrauen. Diesmal lagen beide falsch, denn Sie kennen den Tunnel, welcher die Insel Magerøya mit dem Rest von Norwegen verbindet, nicht. Die Tunnel in diesem Teil von Europa sind etwas Besonderes. Man fährt durch eine in Stein gehauen Röhre zuerst ein paar Kilomter nach unten, um dann auf der anderen Seite wieder hinauf zu fahren. Bei einem Tunnel unter dem Meer ist dies offensichtlich zu erwarten, jedoch gibt das Fehlen von Beleuchtung und die durchgängig nassen Wände dem Bauwerk einen besonderen Reiz. Jene Radsportbegeisterten, die sich das Nordkap zum Ziel gesetzt haben, stoßen darin an ihre physischen und psychischen Grenzen. 35 Kilomter später erreiche ich das Nordkap. Wir schreiben den 31. August 2009, 14 Uhr 34. Mein Traum hat sich erfüllt. Warum ich die Zeit so genau weiß? Um ans Nordkap zu gelangen kassieren die Norweger schnell noch 215 Kronen ein. Das Datum und die Uhrzeit wurde auf meiner Visa Abrechnung verewigt.

am wendekreis

Um diese Jahreszeit ist das Norkap so leer, dass genug Raum für Gedanken und Emotionen bleibt und natürlich auch für eine SMS an die Familie. Da drei Radfahrer ihre Zelte in der Nähe der Nordkaphalle aufgebaut haben, entschließe ich mich ebenfalls hier zu Zelten. Es dauert nicht lange und es kommt ein weiterer Motorradfahrer. Martin aus Warschau. Er ist ebenfalls solo unterwegs. Ich zeige ihm mein Zelt und er entschließt sich kurzerhand ebenfalls am Nordkap zu übernachten.

camp

nach sonnenuntergang

Ich zähle mich eher zu der Gattung Motorradreisende, die mit minimalem Gepäck reisen.  In einem Koffer habe ich Zelt, Schlafsack, Ersatzteile, Motor- und Getrieböl und im anderen Koffer meine gesamten Klamotten. Im Tankrucksack die Regenbekleidung, Kamera und eine Jause (Anm. der Reaktion: für Nichtösterreicher eine Brotzeit), die unterwegs eingekauft wird. Martin gehört zur Gattung "Ich-nehm-alles-mit-was-ich-mitnehmen-kann". Das Motorrad bestückt mit allem was BMW und Touratech an Zubehör zu bieten haben.

philosophie

Vom Heizgriff bis zur Onboard-Kamera, Täschchen hier und da, zwei Ersatzreifen und die halbe Einrichtung seiner Wohnung sicher in Taschen und Koffer verstaut. Wir verstehen uns auf Anhieb gut, erkunden gemeinsam die Gegend. Am Abend lädt Martin mich zum Abendessen ein. Er hatte Benzinkocher und Proviant in den Reifen verstaut. Es gibt Bohnen mit Fleischbällchen "Made in Poland". Dann packt er noch die italienische Espressomaschine aus und wir trinken genüsslich Kaffee, während wir auf das Nordlicht warten. Leider vergeblich. Am nächsten Tag beschließen wir gemeinsam nach Narvik zu fahren.

landschaft

Das stand zwar nicht auf meiner Agenda, aber Pläne sind da, um geändert zu werden. Die Fahrt führt über Höhenzüge, an Seen und Fjorden vorbei. Die Sonne scheint und wir fotografieren viel. Die Landschaft ändert sich ständig. An den Bergen sieht man eindrucksvoll die Arbeit der Gletscher.

landschaft

Gegen Abend beginnt es zu regnen und wir entscheiden uns für ein Hotel in Narvik. Nach dem Abendessen im nahe gelegenen Restaurant verabschieden wir uns von einander. Martin will am nächsten Morgen etwas später aufstehen und zu den Lofoten weiterfahren. Ich habe mich für Richtung Trondheim entschieden und da muss ich schon etwas früher aus den Federn.

Straße in Trondheim

Wieder auf dem Motorrad kommt nach anfänglichem Regen bald die Sonne durch und die Fahrt wird zum Genuss. An diesem Tag kürze ich einen der Fjorde mit einer Fähre ab. Langsam wird die Vegetation wieder üppiger. Am Abend beginnt es wieder  zu regnen. Da dies kein gutes Wetter zum Zelten ist fahre ich nach Trondheim noch 300 Kilomter weiter und baue dann mein Zelt neben der Straße im Wald auf. Es ist kurz vor Mitternacht und ich schlafe schnell ein.
Am nächsten Morgen werde ich um sieben Uhr von den vorbeirollenden Lastwagen geweckt.
Wolkenloser Himmel  8° C, das hält munter. Mein Ziel für heute: Trelleborg.

Die ersten Stunden fahre ich immer auf der Schattenseite der Täler entlang. Die Finger werden langsam kalt und ich sehne die Mittagzeit herbei. Als die Berge um mich herum kleiner werden und auf den spärlichen Wiesen Rauhreif zu sehen ist werfe ich einen Blick auf meinen Höhenmesser 1.100 Meter werden angezeigt. Nun weiß ich auch warum ich meine Fingerspitzen nicht mehr fühle. Aber wo es berauf geht, geht es irgendwann wieder bergab und um Mittagzeit wird es dann tatsächlich  warm.

straße

wildbach

In Lillehammer fällt mir der Film Cool Runnings ein, in dem John Candy mit der jamaikanischen Bobmannschaft an den Olympischen Winterspielen teilnimmt. Gegen 19.30h erreiche ich den Fährhafen von Trellebourg. Ich habe auch diesmal wieder Glück. Eine Stunde später bin ich schon auf der Fähre und in der Dusche meiner Kabine.

Erfrischt und sauber begebe ich mich ins Bordrestaurant, in dem eine Live-Band spielt. Am nächste Morgen, es ist Freitag der vierte September, weckt mich eine sanfte Stimme aus dem Lautsprecher. Von Travemünde soll es über Berlin, Chemnitz, Prag nach Weitersfeld gehen. Als ich mein Motorrad auf der Fähre starte, leuchtet die Ladekontrolllampe nicht. Ich schenke diesem Umstand nicht viel Aufmerksamkeit da es ganz normal läuft. Am späten Vormittag erreiche ich Berlin und besuche die Boxerschmiede und das Brandenburger Tor.  Zu Mittag gegessen wird in einem anatolischen Restaurant traditionell berlinerisch. Von da an sind es nur mehr rund 600 Kilometer bis nach Hause, also rufe ich meine Frau an, um Ihr meine Ankunftszeit mitzuteilen. Mit der Vorfreude meine Familie bald wieder zu sehen, spule ich mit Tempo 130 die Autobahnkilometer ab.

Doch dann gibt es plötzlich Motoraussetzer. Die fehlende Ladekontrolllampe fällt mir wieder ein. Instinktiv schalte ich das Licht aus und reduziere die Geschwindigkeit. Die Motoraussetzer sind weg. An einer Raststätte versuche ich vergebens den Schaden zu reparieren. Doch ein Lichtmaschinenrotor ist leider nicht in meinem Ersatzteilkoffer. In so einem Fall hilft es immer, wenn Mitglied in einem Automobilclub ist. Vier Stunden später lädt mich der LKW-Fahrer der deutschen Kollegen vor einer geschlossenen BMW Werkstatt in Chemnitz ab. Er hat damit seine Leistung erbracht. Zum Glück ist nicht weit von der BMW Werkstätte ein Hotel mit freien Zimmern.

Am Samstag Morgen spaziere ich zum BMW Händler. Nette Bedienung und sachkundiges Personal können nicht das Fehlen eines Lichtmaschinenrotors für meine 89iger BMW kompensieren. Doch der Motorradmechaniker ruft bei seinem ehemaligen Lehrherren an, der tatsächlich einen Rotor vorrätig hat. Wir klemmen die Batterie ans Ladegerät und ich wandere zurück ins Hotel. Eine Stunde später blubbert meine R100GS schon in Richtung Meister Oertels Werkstatt. Nach dem Einbau des neuen Lichtmaschinenrotors läuft die BMW  wieder  tadellos. Zum Abendessen bin ich dann wieder in Weitersfeld. Nach neun Tagen , 10 Ländern und 7300 Kilomter wurde mein Traum nun Wirklichkeit.

Na ja, Plan nicht ganz eingehalten. Aus den geplanten acht Tagen sind nun doch neun geworden, aber die Episode in Chemnitz hat die Reise wirklich abgerundet. Die R 100 GS hatte in den letzten sechs Jahren auch einiges erlebt und so manchen Kratzer dabei abbekommen. Sie hat jetzt eine gründliche Überholung verdient. Im Winter wird sie zerlegt und neu lackiert. Dabei wird Ihr auch ein langer 5ter Gang, ein 1070ccm Kit und ein SGS2 Auspuff spendiert. Damit wird sie die nächsten zehn Jahre durchhalten.

moped

Text und Fotos: Herbert Sonnleitner
Reise: August 2009


Kurzinfos Nordkap

info

ALLGEMEINE Infos über das Nordkap gibt es hier.

REISEZEIT Das Klima in Norwegen ist an der Küste eher mild, im Landesinneren kontinental mit viel Niederschlag und die Winter sind kalt. Beste Reisezeit für Motorradfahrer sind die Sommermonate.
literatur INFOS + KARTEN

routenbuch karte
Praxisratgeber "Routenbuch Nordkap" aus dem Reise Know-how-Verlag, ISBN: 978-3-8317-1387-5, 7.90 EUR.
Landkarte
aus dem gleichnamigen Verlag:Finnland, Nordskandinavien (1:875.000), ISBN: 978-3-8317-7185-1, 8.90 EUR. Format: ca. 70x100 cm, 2-seitig, Material: PolyArt (reiß- und wasserfest, beschreibbar)