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Mythos und Tradition
Auf den Spuren der Haijduken im Herzen Bulgariens |
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Die 150 Jahre alte Nähmaschine surrt, daneben knistert ein Öfchen und hält die kleine Kürschnerwerkstatt von Dobrinka Nenova mollig warm. Die Kürschnerin näht Lammfellmützen, gefütterte Westen und Handschuhe nach alter Tradition. Hier in der Gegend also wurden die Fell-Bekleidungen der berüchtigten Haijduken gefertigt, die als Freiheitskämpfer gegen das osmanische Reich in den Bergen des Balkan-Gebirges lebten. Die Kürschnerei ist nur eine von insgesamt 15 Handwerks-Stätten, die im ethnograpischen Museum ETAR im Städtchen Garbrowo zu sehen sind. Auf sieben Hektar sind in dem 1964 errichteten Freilichtmuseum traditionelle Handwerksbetriebe zu erleben. Die Lebensweise und Traditionen in der Zeit der bulgarischen Wiedergeburt im 19. Jahrhundert und deren wirtschaftliche Blüte lassen sich hier eindrucksvoll erfahren. Ob Leckereien aus der Zuckerwerkstatt, Ikonen, handgemachte Musikinstrumente oder Schmuck aus der Silberschmiede – hier ist die Kultur des bulgarischen Handwerks so lebendig wie nirgends. Und man taucht ein in eine längst vergangene und doch so lebendige Kultur, deren Eigenarten und Überlieferungen bis heute in der Gegend um Gabrowo anzutreffen sind. Die Stadt darf sich zudem auch „die Hauptstadt des Humors und der Satire“ nennen, da hier das weltweit einzige „Haus des Humors“ steht, in dem der Humor und die Satire nicht nur gesammelt, sondern auch ausgewertet und popularisiert wird. Jedes zweite Jahr findet hier die Internationale Bienale des Humors und der Satire statt. |

Lederverarbeitung im Dorf Tryavna |
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Kloster Sokolski – blutige Vergangenheit in malerischer Umgebung |
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Nicht weit von diesem kleinen Städtchen im Tal des Flusses Jantra, das der Legende nach im 14. Jahrhundert vom Schmied Ratscho Kowatscha gegründet wurde, liegt das 1833 gegründete Sokolski Kloster „Maria Himmelfahrt“ auf einem Felsen. Jene kirchliche Anlage – übringens bis heute ein Frauenkloster – ist eng mit dem bulgarischen Freiheitskampf verbunden. Und das nicht zuletzt wegen der spektakulären Ereignisse, die sich hier 1856 abspielten. Jene Haijduken, die in den Bergen um Gabrowo als Freischärler gegen die osmanische Besatzung kämpften suchten in der Klosteranlage Zuflucht, wurden von den Osmanen aufgegriffen und nach grausamer Folter in
die Tiefe vom Felsen hinabgestoßen. Noch heute sieht man im Kloster den Haken, an dem die Haijduken gefesselt waren. Und der Brunnen im Hof der Anlage erinnert mit seinen acht Wasserrohren an die acht Opfer von damals. Das Kloster Sokolski, heute auch Hotelanlage, ist gut durch eine zweistündige Wanderung von Garbrowo zum Schipkapass zu errreichen und
bietet einen atemberaubenden Blick in das Tal des Jantra-Flusses. |
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Traditionelle Dörfer, atemberaubende Kirchen und Bulgariens Hauptstadt des II. Reiches |
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Ganz anders ist die Atmospähre im beschaulichen Dorf Bozhenzi, 16 Kilometer östlich von von Gabrowo mitten im Balkangebirge gelegen. Jener kleine Ort mit nur gut 100 Häusern bildet ein nahezu unverändertes Architektur-Ensemble der bulgarischen Wiedergeburtszeit im 19 Jahrhundert. Heute ist das beschauliche Dorf nicht nur Rückzugsort vieler Künstler, sondern auch
Ausgangspunkt für zahlreiche Wanderungen in das Balkangebirge. |
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Ein Abstecher in die Hauptstadt des 2. bulgarischen Reiches, Weliko Tarnowo, und der Besuch der mystisch anmutenden Festungsanlage auf dem Hügel Zarewetz läßt erahnen, welche Blüte in Bulgarien in der Zeit des 12. bis 14. Jahrhunderts geherrscht haben muss. Auch an dem Dorf Arbanasy in der Nähe von Weliko Tarnowo kommt man nicht vorbei auf einer Entdeckungsreise durch das Balkan-Gebirge. Hier liegt die Kirche „Christi Geburt“, deren Wandmalerein aus dem 16.- 17. Jahrhundert stammen. Von außen kaum als Gotteshaus wahrzunehmen, sind die Innenräume um so reicher und eindrucksvoller verziert mit Wandbildern aus verschiedenen Epochen, die auch die Belagerung durch die Osmanen nahezu unbeschadet überstanden haben. |
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Das Balkangebirge |
Satte, grüne Matten und im Herbst wild-bunte Waldtrassen, schneebedeckte Wipfel bis hinauf zum 2.376 Meter hohen Berg Botew über den Schipka-Pass – das ist das 600 Kilometer lange Balkangebirge „Stara Platina“, nach dem die Balkan-Halbinsel benannt ist. Spannende, mehrtägige Wanderungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade in einer fast unberührten Natur,
vielfältige Wintersportmöglichkeiten und ausgiebige Erholung in gesunder Umgebung mit klarer, würziger Luft rufen vor allem Aktivsportler auf den Plan. |
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Erlebnisreiche Touren durch kleine, beschauliche Dörfer in traditionellem Stil, großartige Stätten des zweiten Reiches, die ausgesprochene Gastfreundschaft der einheimischen Bevölkerung – das alles ist das unbekannte Herz Bulgariens, deren ethnographische Kulturschätze nur auf ihre individuelle Wiederentdeckung warten, um Geschichten und Mythen von den Thrakern bis zur Gegenwart von sich preisgeben zu können.
Text und Fotos: Philip Duckwitz |
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