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Benedikt Böhm und Sebastian Haag auf Expedition in Pakistan
Grenzerfahrung am Broad Peak

pfeil  Zur Vorgeschichte

Einige Träger auf dem Weg ins Basislager haben sie „Punandi“ genannt. Übersetzt heißt es „die Starken“. Die Einheimischen erinnerten sich gut an Benedikt Böhm und Sebastian Haag, die 2006 zwei Mal innerhalb von vier Tagen auf dem Gasherbrum II standen. Doch ihr jüngster Speedrekordversuch zeigte den Münchnern, dass auch die stärksten Bergsteiger Grenzen haben – und wie gefährlich es ist, diese zu überschreiten. Wenn Böhm und Haag vom Dynafit Gore-Tex Team nach ihrer Rückkehr vom Broad Peak sagen, sie seien überglücklich, wieder zu Hause zu sein, hat das eine besondere Bedeutung, da nicht alle dieses Glück hatten. Und weil es Momente gab, in denen auch die beiden Bayern nicht sicher sein konnten, dass sie das Basislager gesund erreichen würden. Am Ende brauchten sie statt der anvisierten 18 Stunden 39, doch dies ist nebensächlich, wenn man die Gründe dafür kennt.

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Wie eine „große Blase“ schwebt die Expedition zum Broad Peak, dem zwölfthöchsten Berg der Welt, noch um sie – irgendwie weit weg und doch ganz nah. Weit weg, weil die Welt dort nichts mit der hier zu tun hat. „Es ist die totale Reduktion auf das Nötigste“, sagt Benedikt Böhm. Ganz nah, weil die Erlebnisse zu stark waren, als dass man sie einfach wegschieben könnte. Oft denkt Böhm an die dort tödlich verunglückte italienische Bergsteigerin Cristina Castagna aus dem Salewa AlpineXtrem-Team. Am Vorgipfel auf 8.026 Meter hat er die Freundin noch umarmt. Auch der Abstieg mit dem völlig erschöpften Basti Haag beschäftigt ihn. Er hat sich verausgabt, hat im Kampf gegen sich selbst – „den hast Du da oben immer“ – seine Reserven fast aufgebraucht.

am vorgipfel

Schlüsselstelle auf 7.800 Meter

In 18 Stunden vom Basislager (4.800 Meter) auf den Broad Peak (8.051 Meter) und zurück, die Abfahrt auf Skiern im bis zu 50 Grad steilen Gelände: Mit diesem Ziel reisen Böhm und Haag Anfang Juni ins Karakorum nach Pakistan. Nach der Akklimatisation erwarten sie Tage des zermürbenden Wartens. Wegen schlechten Wetters müssen sie die Gipfelversuche immer wieder verschieben. Am 17. Juli, 22.15 Uhr Ortszeit, ist es endlich so weit: Böhm und Haag brechen auf, im Gepäck das Nötigste: Skier und Schuhe, drei Liter Wasser, 20 Powerbar-Gels, warme Kleidung, Notfallmedizin. 3.250 Höhenmeter sind vom Basislager bis zum Gipfel zu überwinden. Sie kommen gut voran. Bis Lager III auf 7.000 Meter. Die Abmachung ist klar, es gibt keine Diskussionen: Haag macht eine kurze Pause im Zelt. Böhm geht alleine weiter. Er profitiert von den Spuren der Expeditionen, die um Mitternacht Lager III in Richtung Gipfel verlassen haben. An der Schlüsselstelle auf 7.800 Meter hat er die anderen Bergsteiger gegen 11 Uhr eingeholt. Noch immer liegt er in der Zeit und fühlt sich sehr gut.

anmarsch basislager

Kein Gedanke mehr an den Hauptgipfel
Für Böhm beginnt nun der härteste Teil: Bei der anstrengenden Spurarbeit im teils hüfthohen Schnee wechselt er sich mit Summit-Club-Bergführer Stephan Schanderl und dem Schweizer Bergsteiger Cedric Hählen ab. Knapp vier Stunden brauchen sie für gut 200 Höhenmeter auf einem ausgesetzten, überwächteten Grat bis zum Vorgipfel. Dort, 20 Höhenmeter und einen weiteren Grat vom Gipfel entfernt, steht Böhm um 14.30 Uhr, über 16 Stunden nach seinem Aufbruch. Überraschend erreicht auch Haag kurze Zeit später mit acht weiteren Bergsteigern den Vorgipfel. Dafür hat er sein Äußerstes gegeben. „Ich bin so leer, ich war noch nie so leer“, sagt er in die Kamera. Wie leer er wirklich ist, wird erst beim Abstieg klar. Denn der Hauptgipfel ist für keinen der Bergsteiger eine Option. Es ist zu spät und zu gefährlich. Alle machen sich auf den Rückweg, auch Cristina Castagna. Erst viele Stunden später würden Haag und Böhm erfahren, dass ihre Freundin viele hundert Meter abstürzte. Jede Hilfe kommt für sie zu spät.


beni, basti und christina

„Irgendwie kommen wir runter“
Für die beiden Münchner ist das Ziel auf Ski abzufahren kein Thema mehr. Es geht nur mehr darum, Haag sicher ins Lager III auf 7.000 Meter zu begleiten und dort die Nacht zu verbringen. Er hat Schwierigkeiten mit der Koordination. Cedric Hählen nimmt ihn ans kurze Seil, Böhm – unendlich dankbar für seine Hilfe – steigt voraus. Schritt für Schritt müht sich die Dreiergruppe nach unten. Maximal vier Stunden haben sie ursprünglich für die Abfahrt von 7.800 Meter bis zum Basislager gerechnet. Fünf Stunden brauchen sie allein bis ins Lager III. Sie müssen dort übernachten – ausgerüstet dafür sind sie nicht. Zu dritt schlafen sie in einem Zweierzelt, in jenem von Cristina Castagna und ihrem Partner Giampaolo Casarotto, überzeugt von dem Gedanken: „irgendwie kommen wir da runter“. Nach schlaflosen Stunden – „ich war noch nie so froh, dass eine Nacht vorbei ist“ – machen sich Böhm und Haag auf den Weg. Mit jedem Höhenmeter, den sie verlieren, geht es Haag ein wenig besser. Ab 6.200 Meter fahren sie mit Skiern ab, Schwung für Schwung. Nach 39 Stunden sind sie zurück am Basislager, waren mehr als doppelt so lange unterwegs wie geplant. Haags erster Satz kommt von Herzen. „Ich bin so froh, dass wir da sind.“
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abfahrt basti

Einfach das Leben genießen
Objektiv betrachtet war die Unternehmung nicht erfolgreich – kein Speedrekord, kein Gipfel. Von einem Scheitern aber spricht niemand. Nicht nur, weil „für uns der Vorgipfel wie der Hauptgipfel ist, und damit ein voller Erfolg“, so Haag. Auch und vor allem, weil es um mehr geht als Höhenmeter und Stunden. Es geht um menschliche Schicksale und Grenzerfahrungen. „Situationen, wie wir sie erlebt haben, führen Dir wieder vor Augen, wie nahe der Tod dort oben ist“, so Böhm. Haag, der bekannt ist für seine Umsicht und Vernunft, kann sich selbst nicht erklären, warum er seine Grenze nicht rechtzeitig erkannt hat. Weitere Projekte sind im Moment nicht geplant. Jetzt genießen die beiden das Leben mit all den Selbstverständlichkeiten, die zu einem riesigen Schatz werden, wenn man sie so lange entbehren musste. Es dürfte wenige Menschen geben, bei denen eine heiße Schokolade und ein Croissant eine derartige Zufriedenheit und so leuchtende Augen auslösen wie bei Benedikt Böhm und Sebastian Haag.


abfahrt beni

aufstieg