Survive the Desert

Extremsportler Steven Rau läuft alleine 414,5 Kilometer durch die trockenste und die höchstgelegene Wüste der Welt. Von Iquique in Chile bis nach Salar de Uyuni in Bolivien. 

Man mag es gar nicht glauben aber es geht los. Leider haben wir noch immer mit den Behörden - und der chilenischen Zeitauffassung - nicht alle Probleme lösen können. Zudem wird es jetzt doch ein Mietwagen als Begleitfahrzeug, und die Strecke verlängert sich auf 451 Kilometer. Der Rucksack ist fertig gepackt und das Gewicht mit 24 Kilogramm ganz ordentlich. Ich fühle mich gut und bin hoch motiviert, jetzt endlich in den "Kilometerfresser Modus" zu schalten und hoffe das auch mein Begleiter und sein Begleitfahrzeug gut ankommen. 16.30 Uhr chilenische Zeit - der Startschuss für das Projekt "Survive the Desert" ist gefallen.

Die ersten Kilometer sind absolviert und der Tag verläuft sehr gut! Gleich zu Beginn verlangt der erste Anstieg von mir alles ab aber ich werde mit einer tollen Aussicht belohnt. Der Rucksack ist verdammt schwer aber mit jedem Schluck, den ich trinke, wird er leichter. Wir sind jetzt 20 Kilometer vor Huara, haben also schon gut Strecke gemacht seit heute Morgen um 05.00 Uhr der Wecker klingelte. Man hat uns abgeraten bei Nacht zu laufen, denn die Strecke ist auch die Schmuggelroute der Drogendealer und nicht ungefährlich. Aber es lief alles gut.

Tag 2. Ein langer und sehr guter Tag geht zu Ende. Nach erfolgreichen 61 Kilometern haben wir den Tag bereits etwas früher beendet (20.50 Uhr chilenische Zeit) und genießen noch den Sternenhimmel. Nach den guten Anfangskilometern habe ich mich in der Mittagssonne etwas vertan und werde zukünftig darauf verzichten, in der Mittagssonne zu laufen. 10 Kilometer können hier schon die Hölle sein und da bereits vier Fahrzeuge hielten um mich in den nächsten Ort zu bringen muss das wohl auch für Chilenen leicht verrückt sein. Die Chilenen sind superfreundlich und nicht nur, dass laufend interessierte Menschen auf mich zukommen, ich wurde auch fast genötigt in ein Fahrzeug zu steigen und konnte wohl nur schwer verständlich machen, warum ich das nicht darf. Ich habe daher meinen Rhythmus gewechselt und die Schlafzeiten verkürzt, um möglichst viel Strecke während der Abend- und Morgenstunden zu machen. So kann die heißeste Zeit des Tages etwas entspannter angegangen werden, zumal auf den nächsten 150 Kilometern, 3000 Höhenmeter auf mich warten.

Tag 3. Am nächsten Tag starte ich früh um 03.00 Uhr und ich denke: "neee". Aber es hilft ja nichts und ich wollte es ja so und mache mich auf den Weg, lege 13 Kilometer zurück, bevor ich doch noch mal ein Stündchen schlafe. Wir laufen auf der Drogenroute von Huara nach Colchane/Bolivien. Mehrfach wurden wir gewarnt und uns geraten diese Strecke nicht zu gehen. Der Weg ist gerade an diesem Tag sehr demotivierend, weil dieses riesige Felsmassiv vor uns immer größer wird und nur erahnen lässt, was da noch kommt. Die Anstiege sind mörderisch und mit den ersten Blasen an den Füßen so gar nicht lustig. Mehrfach verfluche ich diesen Tag, und die 12 Liter Wasser, die ich mitschleppen muss, machen es mir auch nicht leichter und am Abend bekomme ich auch noch Probleme mit der Nahrung, der Höhe und den Strapazen des Tages. Irgendwann schlafe ich dann doch noch ein.

Tag 4. Und weiter geht's. Der Tag beginnt für mich wieder sehr früh, denn heute will ich 50 Kilometer zurücklegen, um morgen die Grenze erreichen zu können. So ziehe ich wieder um 3:30 Uhr los. Gegen 4:00 Uhr gerade ich in eine Polizeikontrolle. Wie schon gehabt, rät man mir ab auf der Drogenroute zu laufen.

Die Steigungen sind inzwischen echt brutal und ich benötige teils für 100-Meter-Strecken vier bis fünf Pausen, um die Steigung zu schaffen. Heute soll es hoch bis auf 4700 m Höhe gehen. Der normal Reisende wird dabei mit tollen Aussichten belohnt, diese werden aber von uns kaum wahrgenommen. Die stetigen Anstiege bewegen mich dann auch noch zu einer "glorreichen" Nun ja, war schon der Abstieg nicht von schlechten Eltern, wurde ich beim Aufstieg fast von einer Felsplatte begraben, die mich nicht hielt und unter sich begrub. Es dauerte eine Weile, bis ich sie wegschieben konnte und mir wurde klar, dass diese Abkürzung wesentlich härter und länger war als zunächst gedacht. Ich lernte: Auch Abkürzung ziehen sich auf dieser Tour wie Kaugummi in die Länge. Dafür wurde ich am Abend mit einer guten Schlafmöglichkeit belohnt, dachte ich.

Tag 5. Um Mitternacht werden wir unsanft geweckt werden. Grelles Licht blendet mich und ich erkenne nichts. Erst beim zweiten Hinschauen sehe ich Polizisten mit gezogenen Waffen um unser Auto positioniert. Ihnen erschien es wohl verdächtig, dass hier draußen ein Auto steht und jemand daneben liegt. Es dauerte eine Weile, den Beamten zu erklären, warum wir hier sind und was wir vorhaben, bevor die Polizisten sich wieder entspannten. Nach dem sie wieder abzogen, konnten wir noch drei Stündchen schlafen.

Heute wollen wir die Grenze nach Bolivien erreichen. Die Strecke ist jetzt nicht mehr so fordernd, die Anstiege werden weniger, unser höchster zu gehender Punkt - mit 4700 m Höhe - liegt bereits hinter uns. Natürlich gibt es immer noch Auf- und Abstiege, aber eben nicht mehr so extrem. Ich komme schneller voran und das nahe Etappenziel an der Grenze motiviert mich zusätzlich.
Gegen 19.00 Uhr erreiche ich Colchane, den letzten Ort vor der Grenze nach Bolivien. Hier besprechen wir ein letztes Mal alle Details, überprüfen noch mal alles, auch das gesamte Gepäck um keinen unnötigem Ballast mehr mitzuschleppen. 234 Kilometer liegen hinter mir, mein erstes großes Ziel habe ich erreicht, aber ab jetzt muss ich ohne Partner weitermachen. Da wir einen Mietwagen als Begleitfahrzeug hatten und damit nicht über die Grenze dürfen. Keine Mietwagenfirma in Chile erlaubt eine Fahrt nach Bolivien - zu gefährlich. Als ich mich an der Grenze von meinem Partner verabschiede, wird mir erst richtig bewusst, dass ich von nun an auf mich alleine gestellt bin. Ein eigenartiges Gefühl beschlich mich und ich hatte auch ein wenig Angst.

Der Grenzübergang nach Bolivien verlief wie "geplant". Bevor ich an der Reihe war, meinen Pass abstempeln zu lassen, kollabiert ein Mann vor mir und erbricht sich quer über den Fußboden. Ein guter Start für Bolivien.. Als ich dann endlich die ersten Schritte auf dem bolivianischen Boden mache, merke ich, ich bin ganz allein. Es gibt keinen Verkehr auf der Straße und es ist keine Menschenseele zu sehen. Etwas unheimlich das Ganze. Mir geht alles Mögliche durch den Kopf. Ich weiß, wann mein Flug zurückgeht, wie viele Kilometer noch vor mir liegen und wie viel Wasser ich dabei habe. Jetzt muss ich nur noch anfangen zu laufen, was das Zeug hält. Meine Route führt mich direkt durch ein kleines Dorf. Ich bin froh und dankbar, denn es wird schnell dunkel und im Dorf gibt es noch Licht und fühle mich nicht ganz alleine. Trotz der hinter mir liegenden 236 Kilometer fühle ich mich körperlich sehr gut. Mein Rucksack ist inzwischen 12 kg leichter und die Wege sind jetzt eben und gut zu laufen. Ich komme viel besser vorwärts als die Tage zuvor.

Bis in die Nacht hinein laufe ich, weil ich eigentlich nur eins möchte - endlich fertig werden. Nach nochmals 30 absolvierten Kilometern beginne ich mir ein Nachtlager zu bauen. Der Temperaturunterschied zu den Tagen zuvor ist beträchtlich. Kaum ist es dunkel, gefriert das Wasser in meiem Trinkwasserschlauch, also versuche ich mein Lager so zu bauen, dass es mich vor der Kälte schützt. Ich umrande mein Lager mit Felssteinen, die mich vor dem kalten Seitenwind schützen sollen, schneide das umherstehende Steppengras ab um eine weiche, warme und komfortablere Liegefläche zu haben.

Tag 6. Endlich kann ich mich mal wieder hinlegen und freue mich auf die Nacht. Aber kaum liege ich da, spüre ich eine Unruhe in mir. Ich will nur noch im Ziel ankommen. Diese fixe Idee und die klirrende Kälte sorgen dafür, dass es mich nach ca. 1 1/2 Stunden Ruhe nicht mehr in meinem Schlafsack hält und ich wieder voll beladen unterwegs bin. Von der wunderschönen Landschaft sehe ich, mitten in der Nacht, leider nicht sehr viel und man trifft auch nicht wirklich viele Leute. So drehe ich einsam meine Runden und versuche nur möglichst schnell, geradlinig und gut voranzukommen. Als endlich die Sonne ihre ersten Strahlen schickt, freue ich mich sehr, denn mein Körper ist schon extrem unterkühlt und das Wasser im Trinkschlauch ist auch gefroren.

Im Licht der Sonne sehe ich vor mir einen Beutel mit Orangen oder was davon übrig ist liegen. Jemand muss den Beutel verloren haben und offensichtlich sind auch schon Autos über ihn hinweggerollt. Ich laufe weiter, aber nach ein paar Schritten fühle ich den Geschmack von Orangen im Mund und drehe um. Nee, die sind hinüber, sage ich mir. Aber der Gedanke an frische Orangen lässt mich nicht los. Ich hebe den Beutel auf und suche mir die besten Stücke heraus, die noch da sind, entferne Dreck und Schale und übrig bleibt ein leckeres, gefrorenes Stück Orange. Der Geschmack im Mund war fantastisch.

Mein Weg kreuzt einen Salzsee, den ich hinter mir lasse, und folge zum Teil recht gut erkennbaren Pfaden. Hin und wieder begegnen mir sogar Menschen und ernte dann immer wieder verwunderte Blicke. Niemand kann so recht verstehen, was ich hier mache und vor allem warum ich das mache. Aber mein Kopf und mein Körper sind leer und ich nehme alles gar nicht mehr so wahr. Die Natur, die Menschen und die Anstrengungen blende ich irgendwie aus, ich will nur noch ankommen. Und ich möchte wieder Wasser an meinem Körper zu spüren. Am liebsten würde ich einen ganzen Eimer über den Kopf kippen, aber leider habe ich keinen hier. Diese Gedanken, diese Ziele und das Wissen es jetzt bald geschafft zu haben treiben mich an und bringen mich knapp 82 Kilometer weiter. Doch dann sehnt sich mein Körper plötzlich nach Schlaf. Es dämmert eh schon und so nutze ich das bisschen Wärme, welche vom Tage übrig blieb und bereite mich auf die Nacht vor.

Schnell schlafe ich ein, denn mein Körper ist erschöpft, mein Kopf leer. Aber nach zwei Stunden Schlaf liege ich wieder hellwach in meinem Schlafsack und blicke in die Sterne. Ich überlege kurz, ob ich noch eine Runde schlafen soll, aber ich bin überhaupt nicht mehr müde. Also packe ich meine Sachen zusammen und ziehe wieder los. Die Kälte der Nacht hat einen großen Vorteil, sie sorgt dafür, dass der Körper nicht schwächelt und mein Geist klar bleibt.

Ein paar Minuten brauche ich nach den Ruhepausen immer, um wieder in meinen Rhythmus zu gelangen, da doch schon einige Blasen und Wunden meine Füße zieren. Zudem ist die Orientierung nachts immer etwas schwieriger, da es an markanten Punkten fehlt und ich mich noch stärker konzentrieren muss, nur keinen falschen Schritt zu machen. Glücklicherweise gibt es auf dem harten Salz nicht wirklich viele Möglichkeiten zu stolpern. Je näher ich auf diesem Lauf meinem Ziel komme, desto schneller werden meine Schritte. Ich muss mich jetzt teils zügeln, um es nicht zu übertreiben. Auch beim Marathon gibt es immer wieder Läufer, welche noch bei Kilometer 40 aufgeben müssen. Das soll mir nach Tagen harter Arbeit nicht passieren.

In schnellem Schritt sind bereits schon wieder 35 Kilometer verstrichen und es geht mir körperlich bestens. Im Schein des Mondes ist es auf dem Salar de Uyuni fast taghell und ich habe keine Probleme beim Laufen, vielmehr genieße ich die Ruhe und Faszination der Salar de Uyuni. Ein einmaliges Gefühl. Auf den letzten Kilometern kreisen meine Gedanken an zu Hause, an die zurückliegenden Qualen, an das bevorstehende Ziel und das Gefühl, es endlich geschafft zu haben, macht sich breit. Am 22. Juni um 06.30 Uhr nach 414,5 Kilometern beende ich meinen Lauf von Iquique durch die Atacama-Wüste zum Salar de Uyuni, dafür benötigte ich 5 Tage und 14 1/2 Stunden und habe etwas geschafft, was vorher niemand geschafft hat. Mit 24 kg Startgepäck auf dem Rücken und ohne Versorgungspunkte.



Es war für mich eine großartige Erfahrung und eine Qual. Ich nehme so viel von diesem Lauf mit in Bezug auf meine eigene Entwicklung, die sportliche Belastbarkeit, die Planung solcher Projekte aber auch in Bezug auf die menschliche Psyche. Für diese Erfahrung bin ich sehr dankbar. Ein besonderes Danke geht an meine Familie ohne die solche Touren nicht möglich wären, an meine Freundin, die mich hat gehen lassen und an meine Begleitung Gino, der immer auf mich geachtet hat.

Wir stellten Steven die Frage:
Warum macht er das?
Hier seine Antwort:
 

Diese Frage nach dem WARUM wird fast immer gestellt. Warum läuft ein Mensch überhaupt 400 Kilometer? Warum quält sich ein Mensch täglich mit Sport, warum strapaziert er seinen Körper in dieser Form? Für mich gibt es dafür unzählige Gründe. Es beginnt bereits in der Planungsphase. Diese Zeit vor dem eigentlichen Projekt ist so akribisch. In dieser Zeit lernt man mehr über die Strecke, das Land, die Menschen, den Körper und das Training als in jeder anderen Phase. In dieser Zeit werden Aspekte hinterfragt und beleuchtet, über die ich vielleicht sonst nie nachgedacht hätte oder etwas gelernt hätte. Zudem nehme ich aus dieser Zeit immer sehr viele Erkenntnisse mit ins Berufsleben.

Im Lauf selber mache ich unglaublich viele Erfahrungen, die mich in meiner persönlichen Entwicklung extrem vorwärts bringen. Physisch als auch psychisch mache ich mit jedem Lauf eine unglaubliche Entwicklung. Und mit dem Lernprozess ist man nie am Ende angekommen. Auf jedem Lauf nehme ich neue Erkenntnisse mit und lerne stetig dazu. Ich lerne, wie ich in Drucksituationen gelassen bleibe, wie ich mich in diesen Situationen verhalte und Lösungen finde. Ich lerne meinen eigenen Körper und seine Grenzen einzuschätzen und kann dadurch ganz anders trainieren und meine Belastungen einstufen. Ich lerne, mich meinen Ängsten zu stellen und für viele gewöhnliche Dinge des Alltags wieder dankbarer zu sein. Bin ich zurück von einer Tour denke ich nicht mehr darüber nach ob Flatscreengröße von 142 cm ausreichend ist, sondern ich bin dankbar dafür, dass mein Kühlschrank gefüllt ist.

Diese Touren sind aber auch eine Möglichkeit Land und Leute auf eine ganz außergewöhnliche Art kennenzulernen. Gerade in diesen Extremsituationen und durch die Fortbewegung zu Fuß nehme ich das alles viel bewusster wahr. So habe ich auch 2013 Deutschland ganz anders kennengelernt, als ich es vielleicht je getan hätte. Ich nehme die unterschiedlichen charakterlichen Eigenschaften der einzelnen Nationen wahr, wie interessiert und hilfsbereit die Menschen sind. Es ist ein ganz anderes Bild als im täglichen Wahnsinn des Arbeitslebens.

Zudem schätze ich den Zusammenhalt unter Sportlern sehr. Sport schafft Verbindungen und Zusammenhalt. Es ist ganz gleich, ob jemand drei Kilometer läuft oder 600 Kilometer, es ist egal, ob er täglich 30 Kilometer radelt oder die Tour de France fährt. Sport ist immer ein Band zwischen diesen Menschen. Diese Hilfsbereitschaft, diesen Zusammenhalt und diese Leidenschaft, wie ich sie von verschiedenen Läufen, Wettkämpfen oder anderen Sportveranstaltungen kenne, ist einmalig und dafür bin ich sehr dankbar. Ich versuche immer zu helfen, für Fragen da zu sein aber auch zu motivieren und Anreize zu schaffen, um jedem seine eigenen sportlichen Erfolge zu ermöglichen.
Das ist mein WARUM.

Wer mehr über Steven Rau erfahren möchte, hier geht es zu seiner Webseite: www.endstation-kopf.de/

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